Wie der Pferdeschutz verwaltet wird... Interview mit einem Veterinärtierarzt
Vorwort
Jede Woche erhalten wir via email, Telefon oder Facebook Nachrichten mit Anfragen rund um den Pferdeschutz. Die wachsende Lawine an Notfällen scheint nicht mehr aus dem Rollen zu geraten. Uns erreichen verzweifelte Hilferufe von Privatpersonen und Tierschutzgruppen, die sich im Angesicht von wachsendem Tierleid hilflos bei uns melden. Wir möchten mit diesem Interview etwas Licht ins Dunkle der Verwaltung rund um staatlich vorgeschriebene und amtlich organisierte Tierschutzmaßnahmen bringen und hoffen, Euch damit einige Fragen beantworten zu können.
Das Zusammenspiel zwischen ehrenamtlichem Tierschutz und einer bemühten, konstruktiv arbeitenden Behörde ist für jedes in Not geratene oder misshandelte Pferd gold wert. Zum Glück können wir nach vielen Jahren Erfahrung mit den verschiedensten Veterinärämtern sagen, daß wir zumindest meist eine gute Zusammenarbeit erschaffen können und die über Jahre die verhärteten Fronten zwischen den Behörden und den Tierrechtsvereinen aufweichen konnten. Wir haben nur noch selten das Problem bei einer Behörde mit unserem Anliegen nicht ernst genommen zu werden. Vielmehr gibt es zwischen uns und den – besonders hier in NRW - vorstehenden Veterinärämtern durch gewachsene Beziehungen und dem gegenseitigen Respekt einen regen, vertrauensvollen Austausch, der eine solide Grundlage für gute Pferdeschutzarbeit bietet. Man kennt sich und spricht offen miteinander. An dieser Stelle möchte ich mich ganz besonders bei Frau Dr. Agneta Bölling, Frau Dr. Nüfer und Frau Dr. Lütkefels bedanken, die uns in unserem Kreis stets ein offenes Ohr und eine helfende Hand bieten. Weiterhin möchte ich mich ganz herzlich bei Dr. Peter Richter, dem Leiter des Veterinäramtes Ennepe-Ruhr-Kreis für die stets sehr engagierte Zusammenarbeit bedanken. Dr. Peter Richter gehört ganz sicher zu den uns bekannten „engagierten“ Veterinärtierärzten, die ihre Verantwortung sehr ernst nehmen. Aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung in diesem Beruf weiß Dr. Richter ganz genau wovon er spricht, wenn er mit uns einzelne Fälle auseinander nimmt. Wir sind dankbar für seine Offenheit in jeder Lage und sein Bestreben gute Ergebnisse zu erzielen. Peter Richter befindet sich seit 1989 im Veterinärverwaltungsdienst und war vorher als Tierarzt in einer mobilen Tierarztpraxis für Großtiere beschäftigt. Seit Januar 2000 leitet er das Veterinärüberwachungsamt des Ennepe-Ruhr-Kreises.
Pferdehilfe: Dr. Peter Richter, wie würden Sie Ihr eigenes Aufgabengebiet im Bereich Pferdeschutz definieren?
Dr. Richter: Kurz gesagt befassen wir uns hauptsächlich mit Grundanforderungen wie der Tiergesundheit, dem Raumangebot, dem Futterangebot, der Wasserversorgung, dem Witterungsschutz oder allgemein einer artgerechten Haltung.
Fragen von grundsätzlicher Bedeutung (Trainingsmethoden im Pferdesport, Pferdezucht) können auf der kommunalen Ebene sicherlich nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Es ist die Aufgabe des Bundes und der Länder, diese Fragen einheitlich zu bewerten und einheitliche Verfahrenswege zu beschreiben.
Pferdehilfe: Nach welchen festgesetzten Richtlinien/ Gesichtspunkten beurteilen Sie eine Pferdehaltung und wie viel eigenes „Ermessen“ fließt in eine Beurteilung mit hinein? Gibt es für Tierärzte im Außendienst bundesweite Leitlinien nach denen sie sich richten können oder sogar sollen?
Dr. Richter: Üblicherweise richten sich Amtstierärzte nach den “Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten vom 9. Juni 2009“. Diese Leitlinien stecken schon einen großen Rahmen ab. Wenn der vorhandene Sachverstand im Veterinäramt ausreichend ist, wird die sachverständige Beurteilung einer Pferdehaltung durch den Amtstierarzt (-ärztin) allein durchgeführt.
In allen Zweifelsfällen ziehen wir Fachtierärzte für Pferde als Gutachter hinzu. Dies kann zum Beispiel bei der prognostischen Beurteilung von Krankheiten erforderlich werden. In bedeutsamen Fällen wird grundsätzlich das Gutachten eines Pferdefachtierarztes hinzugezogen. Aber diese Verfahrensweise ist nicht bindend und variiert sicherlich von Veterinäramt zu Veterinäramt.
Dr. Richter: Wichtiger als die Zahl der Tiere ist die Zahl der Betriebe. Präventiver Tierschutz ist im Bereich von Privathaltungen (Pferde, Hunde, Katzen etc.) nur sehr schwer möglich. Im Ennepe-Ruhr-Kreis sind zum Beispiel ca. 600 Pferdebetriebsstätten registriert. Diese können nicht flächendeckend in regelmäßigen Abständen überwacht werden. Insgesamt halten allein ca. 3.000 Betriebe landwirtschaftliche Nutztiere. Die Zahl der Halter von Heimtieren ist noch nicht einmal schätzbar.
Eines ist jedoch sicher: Der Einsatz der Tierschutzvereine ist bei der Aufdeckung und Verfolgung von Tierschutzverstößen unabdingbar. Der überwiegende Teil der Tierschutzanzeigen erfolgt durch Mitglieder von Tierschutzorganisationen und aufmerksamen Bürgern. Nicht alle Anzeigen sind berechtigt, aber überprüft wird jeder Hinweis.
Eine Richtlinie über die Ausstattung eines Veterinäramtes gibt es nicht. Der Oberbürgermeister oder Landrat hat die Organisationshoheit in seiner Kommune. Er entscheidet also, im welchem Dezernat das Veterinäramt angesiedelt wird, über den Personalschlüssel und über die Höhe der zusätzlichen finanziellen Mittel. Allerdings unterliegt jedes Veterinäramt auch einer Fachaufsicht. Diese ist in Nordrhein-Westfalen beim Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) in Recklinghausen angesiedelt. Da nahezu alle Aufgaben eines Veterinäramtes Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung sind, hat die Fachaufsichtsbehörde immer dann die Möglichkeit einzuschreiten, wenn Pflichtaufgaben nicht oder nicht ausreichend gut erfüllt werden.
Grundsätzlich wird dem amtlichen Tierarzt sicherlich ein umfangreicher Ermessensspielraum eingeräumt. Dies trifft besonders auf den Zeitpunkt zu, wann eine Behörde ein Tier dem Besitzer fortnimmt. Aber auch die Verwaltungsgerichte haben bezüglich dieser weitgehenden Maßnahme durchaus unterschiedliche Ansichten. Das trifft auch auf Anordnung von Tierhalteverboten zu. Nicht immer folgen die Gerichte der Auffassung des Veterinäramtes.
Pferdehilfe: Wie stellt sich in einem Veterinäramt das Verhältnis personelle Ausstattung und Anzahl der Tiere dar? Gibt es hinsichtlich dessen zu befolgende Richtlinien oder entscheidet der Kreis/die Stadt alleine über die Ausstattung eines Amtes? Kurzum: Haben wir ausreichend Beamte im Tierschutz?
Pferdehilfe: Seit 2002 ist der Tierschutz als Staatsziel in die Verfassung der Bundesrepublik aufgenommen (Grundgesetz, Art. 20a). Hat sich seitdem etwas in der praktischen Umsetzung verbessert? Haben Veterinärämter/ Beamte ausreichend Handlungsspielraum diesem Staatsziel im Alltag Rechnung zu tragen?
Dr. Richter: Ich kann hier nicht für alle Ämter sprechen. In Ennepe-Ruhr-Kreis werden alle notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt, um vernachlässigte Tiere, die von uns pfleglich untergebracht wurden, zu versorgen.
Aber Tierschutz ist auch ein sehr emotionales Thema. Die Ansichten von Tierrechtsorganisationen, Tierschutzorganisationen und Behörden weichen nicht selten voneinander ab. Sicherlich muss man zwischen Privattierhaltung und landwirtschaftlicher Nutztierhaltung deutlich unterscheiden.
Vertreter der Tierrechtsorganisationen bezeichnen viele Form der Tierhaltung in landwirtschaftlichen Betrieben als tierschutzwidrig, obwohl Rechtsverordnungen diese Haltung gestatten. Diese Haltung ist zu respektieren, Veränderungen können jedoch nur auf dem politischen Weg durch Anpassungen der Rechtsverordnungen oder auch durch eine Änderung des Verbraucherverhaltens herbeigeführt werden. Viele Haltungsformen, wie beispielsweise die Käfighaltung von Legehennen, wurden bereits untersagt und ich glaube auch, dass viele Veränderungen ohne die Anmahnung durch Tierrechts- und Tierschutzorganisationen erst deutlich später umgesetzt worden wären. Nur durch Überwachung allein werden nachhaltige Veränderungen nicht herbeigeführt.
Pferdehilfe: Halten Sie das aktuell geltende Tierschutzgesetz bzgl. des Bereiches der Pferdewirtschaft für ausreichend und erfolgreich umsetzbar?
Dr. Richter: Ja, denn ich bin der Meinung, dass zu viele spezielle Regelungen die Gefahr bergen, dass nicht alle Varianten abgebildet werden. Die bereits oben erwähnten Leitlinien sind viel problemloser anpassbar als eine Verordnung oder ein Gesetz. Diese werden von allen Gerichten gutachterlich anerkannt. Das Tierschutzgesetz bietet mit den Paragraphen 1,2, 16 und 16a eine ausreichende Rechtsgrundlage um Veränderungen bei Tierhaltern durchzusetzen. Ob die jeweilige Beweislage und die fachlichen Begründungen letztlich ausreichend sind, entscheiden allerdings die Verwaltungsgerichte.
Pferdehilfe: Nicht selten wird Veterinärämtern in Tierschutzfällen Trägheit oder gar Untätigkeit vorgeworfen. Woran glauben Sie liegt das?
Dr. Richter: Nicht alle Behörden arbeiten gleich gut oder gleich schnell. Auch wir werden nicht jeden Tierschützer zufrieden stellen können, denn die private Auffassung einer artgerechten Tierhaltung deckt sich nicht immer mit der Auffassung der zuständigen Behörde oder dem Gesetz. Im Allgemeinen bescheinigen uns die hier ansässigen Organisationen jedoch eine sehr gute Zusammenarbeit.
Personalmangel kann sicherlich ein Grund für Untätigkeit sein. In Kommunen, in denen Tierärzte „Einzelkämpfer“ sind, wird die tägliche Auseinandersetzung mit uneinsichtigen Tierhaltern schnell frustrierend. Dabei muss man wissen, dass jede durch den Tierbesitzer umzusetzende Maßnahme auch meistens ein schriftliches Verwaltungsverfahren nach sich zieht. Daher ist eine enge Verknüpfung zwischen den Tierärzten und den Verwaltungsmitarbeitern einer Behörde von entscheidender Bedeutung. Leider gibt es Kommunen, die diese Einheiten trennen. Das kann dazu führen, dass erforderliche Maßnahmen nicht oder nicht rechtzeitig umgesetzt werden.
Pferdehilfe: Als Tierarzt und Leiter eines Veterinäramtes haben Sie immer wieder mit Tierschutzfällen und/ oder Prüfungen im Bereich Pferdehaltung zu tun. Welche negativen Auffälligkeiten zeigen sich Ihnen in der Pferdewirtschaft am häufigsten und hat sich die Anzahl oder Brisanz der negativen Auffälligkeiten in den letzten Jahren gesteigert oder verringert?
Dr. Richter: Eine der auffälligsten Veränderungen in den letzten Jahren ist das zunehmende Missverhältnis zwischen den wirtschaftlichen Grundvoraussetzungen Pferde halten zu können und dem emotionalen Bedürfnis unter allen Umständen Pferde halten zu wollen. Die Zahl zahlungsunfähiger Pferdehalter steigt nachweisbar kontinuierlich.
Pferdehilfe: Wie kann man sich als Außenstehender die Kommunikation zwischen den einzelnen Veterinärämtern vorstellen? Sind die Ämter miteinander vernetzt und bieten die Möglichkeit des Informationsaustausches?
Dr. Richter: Die Datenbänke der Veterinärämter sind nicht miteinander vernetzt. Das bedeutet, der Veterinär eines Kreises oder einer Stadt kann nicht in Tierschutzfälle der Nachbarbehörde Einsicht nehmen kann. Das wäre aus datenschutzrechtlichen Gründen auch nicht erlaubt.
Im Einzelfall kann ich natürlich Auskunft über bestimmte Tierhalter erhalten, die möglicherweise den Wohnort gewechselt haben. In allen Fällen - zum Beispiel nach Tierhalteverboten - in denen wir einen neuen Aufenthaltsort kennen, benachrichtigen wir die zuständige Behörde. Ein landesweiter oder bundesweiter Austausch über Grundsatzfragen des Tierschutzes findet auf der Ebene von Arbeitsgruppen statt. Besprechungen auf Landesebene gemeinsam mit der Fachaufsicht dienen dem gleichen Zweck.
Pferdehilfe: „Tierarzt werden“ ist sicherlich auch eine emotionale Entscheidung. Wir haben zumindest noch keinen Tierarzt getroffen, der Tiere nicht leiden konnte. Dementsprechend gibt es wohl auch bei Tiermedizinern eine sog. anzuwendende Ethik. Wir verfolgen die dazu verfassten Reden von Prof Kunzmann (Klinik Hannover). Haben Sie in Ihrem Alltag die Möglichkeit ethisch-moralische Grundsätze ausreichend zu vertreten? Würden Sie etwas verbessern oder ändern wollen, wenn Sie die „Macht“ dazu hätten?
Dr. Richter: Trotz eines Qualzuchtparagraphen im Tierschutzgesetz werden aus meiner Sicht sehr viele Rassen gezüchtet, die für die gesamte Dauer ihres Lebens krank sind. Diese Probleme können über 600 einzelne Veterinärämter in Deutschland aber nicht lösen.
Wenn ich die Macht hätte, etwas nachhaltig zu verändern, würde ich auch im deutschen Bildungssystem beginnen, um das Verbraucherverhalten nach dem Motto „weniger ist mehr“ zu beeinflussen. Wer nie gelernt hat, wie Lebensmittel produziert werden und nie gelernt hat, diese zu verarbeiten, greift eben zu Fertigwaren niedriger Qualität. Selbst direkt nach der BSE-Krise wurde Qualität nicht verstärkt nachgefragt. Alle Programme, die Direktvermarktung aus kleinbäuerlichen Betrieben zu steigern, sind gescheitert. Lebensmittel sind teilweise zu einer Massenware verkommen und Schuld daran trägt ganz sicher nicht der einzelne Landwirt.
Pferdehilfe: Welcher Pferdeschutzfall war Ihrer Laufbahn der für Sie Einprägenste?
Dr. Richter: Einem Tierhalter mussten wir vor Jahren 38 Equiden wegnehmen. Alle Tiere wurden in drei Privathaltungen pfleglich untergebracht. Aufgrund ungenügender finanzieller Möglichkeiten war der Tierhalter nicht in der Lage, tierärztliche Behandlungen durchführen zu lassen. Ein Hengst wies zum Beispiel auf einer Körperseite aufgrund von Rangkämpfen mehr als 80 unbehandelte Wunden unterschiedlichen Alters auf.
Dieser Fall hat das Amt weit über 12 Monate beschäftigt, da alle Tiere nach entsprechenden Untersuchungen, Entwurmungen, Behandlungen und hufpflegerischen Maßnahmen an neue Besitzer vermittelt werden mussten. Die anschließenden Gerichtsverfahren vor Amts- und Verwaltungsgerichten zogen sich über mehrere Jahre hin. Die Gerichte folgten letztendlich in allen Punkten den Einschätzungen des Veterinäramtes.
Pferdehilfe: Der Notfall, also die Entnahme von Pferden aus einer Haltung ist sicherlich nicht immer leicht. Wie läuft eine solche „Beschlagnahmung“ ab und was geschieht dann mit den Tieren? Wie organisieren und verwalten Sie die darauf folgende Versorgung? Es gibt in Deutschland ja (leider) keine „Tierheime“ für Pferde.
Dr. Richter: Die „pflegliche Unterbringung“ auf Kosten des Halters ist im § 16a des Tierschutzgesetzes geregelt. Wenn die Sachverständigen der Auffassung sind, dass die tierschutzwidrige Haltung nicht nur vorübergehend existiert (z.B. bedingt durch Unfall oder Krankheit) und darüber hinaus auch langandauernd oder erheblich ist und zu erheblichen Leiden, Schäden oder Schmerzen geführt hat, können solche Pferde im Anschluss an die pflegliche Unterbringung auch fortgenommen und durch die Behörde selbst veräußert werden. In der Regel wird dies von einem Pferdehaltungsverbot begleitet.
Aber eines ist immer zwingend erforderlich: Wir benötigen für jede Unterbringung qualifizierte Privatpersonen oder Organisationen, die bereit sind, in unserem Auftrag diese Tiere unterzubringen. Natürlich werden die entstehenden Kosten zunächst durch die Behörde erstattet, trotzdem ist es nicht immer leicht, eine entsprechende Unterbringungs- und Pflegemöglichkeit zu finden. Die Kosten werden zwar dem ehemaligen Besitzer in Rechnung gestellt, aber oft sind dort Kostenbescheide nicht eintreibbar. Letztendlich zahlt dann der durchführende Kreis und damit der Steuerzahler.
Pferdehilfe: Würden Sie die Zusammenarbeit mit Initiativen wie z.B. der Unsrigen also als notwendig erachten?
Dr. Richter: Die Zusammenarbeit mit Tierschutzorganisationen und privaten Initiativen ist unerlässlich. Das trifft auf alle Tierarten zu. Tierschützer unterstützen uns nicht nur bei der Ermittlung von Tierschutzvergehen, sondern auch bei der darauf folgenden Unterbringung und Pflege von Tieren und der anschließenden Vermittlung.
Pferdehilfe: Nehmen wir an, eine Privatperson entdeckt bei einer Pferdehaltung negative Auffälligkeiten. Welche Möglichkeiten haben Bürger zu handeln? Wo kann sich ein Bürger z.B. ausreichend informieren, was erlaubt ist und was nicht?
Dr. Richter: Diese Frage lässt sich eigentlich einfach beantworten. Alle Pferdehaltungen, in denen der Verdacht besteht, dass Pferde nicht artgerecht gehalten werden sollten dem jeweils zuständigem Veterinäramt gemeldet werden. Ob eine Anzeige dann zu Recht oder zu Unrecht ergangen ist, kann letztendlich nur der Sachverständige vor Ort entscheiden. Die Anzeigenden werden jedoch vom Veterinäramt nicht in das Verwaltungsverfahren mit eingebunden.
Pferdehilfe: Nehmen wir uns einmal das Tierschutzgesetz vor: „
§ 1
Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.
§ 2
Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat,
- muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen,
- darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden,
- muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen.
§ 3
Es ist verboten, einem Tier außer in Notfällen Leistungen abzuverlangen, denen es wegen seines Zustandes offensichtlich nicht gewachsen ist oder die offensichtlich seine Kräfte übersteigen.“
Halten Sie persönlich den Ermessensspielraum im Bereich Pferdesport und Pferdehaltung für zu groß? Wäre laut dieses o.g. Gesetzes nicht ein großer Teil des Leistungssportes mit Pferden theoretisch schon verboten weil er ohne Leid, Schmerz und Schäden nicht auskommt? Immerhin stehen einflussreiche Verbände wie die FN heutzutage ständig mit neuen Skandalen in der Öffentlichkeit. Wie steht es Ihrer persönlichen Ansicht nach um die heutige Pferdewirtschaft in Deutschland, die ja jährlich Milliarden umsetzt?
Dr. Richter: Nach den Buchstaben des Gesetzes dürften bestimmte Pferdesportarten sicherlich nicht mehr ausgeübt werden. Danach wäre schon das regelmäßige Verbringen eines Galoppers in die Startbox nicht tierschutzkonform. Aber hier unterscheiden sich eben Theorie und Praxis. Niemand würde derzeit so weit gehen, den Pferdeleistungssport generell zu verbieten. Aus meiner ganz privaten Sicht gibt es keinen vernünftigen Grund Galopper auf eine Rennbahn zu schicken zu dem einzigen Zweck, Wetten auf den Ausgang des Rennens abzuschließen.
Auch einzelne Tierrassen dürften bei strikter Anwendung des Qualzuchtparagraphen des Tierschutzgesetzes schon längst nicht mehr existieren. Dazu zählen sicherlich kurznasige Katzenrassen, Nackthunde, Möpse oder ein großer Teil von Geflügelrassen.
Alle diese Probleme könnten von Ministerien des Landes oder Bundes aufgegriffen und zumindest diskutiert werden, wenn man es denn wollte. Ein einzelner Amtstierarzt in einem Veterinäramt ist damit ganz sicher überfordert und auch nicht geeignet, diese Probleme fachlich und juristisch zu lösen.
Pferdehilfe: Herr Richter, vielen Dank für die Zeit, die Sie sich genommen haben und auf weiterhin gute Zusammenarbeit !
„Ohne Ehrfurcht vor dem Leben hat die Menschheit keine Zukunft.“
(Albert Schweitzer)