Ansichten, Aussichten, Fragen, Antworten...Unmögliches, Mögliches
Nico im Interview:
Wie ist Deine Einstellung zum Reitsport/Rennsport/Fahrsport allgemein?
Ganz allgemein gehalten habe ich mich schon vor gut 30 Jahren bewusst vom Reitsport entfernt. Je mehr man über Pferde und vor Allem von Pferden lernt, desto gravierender wird das ungute Gefühl beim Blick auf das Wesen Pferd als Marionette, als moderner Sklave oder als vermeintlicher Partner. Die Menschen haben sich zu weit vom Pferd und seiner Natur entfernt, um ausreichend wahrzunehmen, was der Reitsport für Pferde bedeutet. Es geht bei der Reiterei zu oft nicht um Freundschaft und Partnerschaft. Es geht zu oft nicht um Liebe und einen freien Willen. Es fällt mir schwer, den paradoxen Umstand zu beobachten, daß mir jemand von seinem Freund Pferd erzählt, während er dabei ist, einen Sperrriemen um sein Maul zu legen und diesen zuzuziehen.
Von seiner Psyche und Seele mal abgesehen ist das Pferd von Natur aus körperlich nicht dafür geschaffen eine Last auf seinem Rücken zu tragen. Schäden bleiben da nicht aus. Es irritiert mich, wie pathologisch das Pferd mit einer reiterlichen "Nutzbarkeit" in Verbindung gebracht wird. Tradition, falsche Lehren und unsere gesamte menschliche Geschichte sorgen dafür, daß die reiterliche Nutzung eines Pferdes für uns vollkommen normal erscheint. Für das Pferd selbst ist sie nicht normal oder natürlich, im Gegenteil.
Wie sollen wir den Menschen die Natur des Pferdes näher bringen, wie sollen wir das Wesen des Pferdes zeigen und seine Bedürfnisse in den Vordergrund stellen, wenn wir im gleichen Atemzug das Reiten als vollkommen selbstverständlich ansehen? (Ganz gleich aus welchem Grund). Können wir eine Begegnung „Pferd & Mensch“ erschaffen anstatt nur „Pferd & Reiter“? Können wir das Wesen „Pferd“ getrennt vom bisherigen Status Quo seiner Nutzbarkeit wahrnehmen? Es fällt uns schwer, nicht wahr? Wir sind gut konditioniert.
Mitgefühl, Achtsamkeit und der Respekt, welche unverzichtbarer Teil unserer menschlichen Kultur sind, fehlen in der Reitsportindustrie auch heute noch. Die provokative Auseinandersetzung mit einem reiterlichen Erbe, welches gerne im Glanz einer Hochkultur steht, ist also mehr als notwendig um Pferde zu schützen. Das Pferd ist uns Freizeitgestaltung, Freund, Kriegswaffe, Sportgerät, Arbeitstier, Luxusartikel, Wegwerfware und Fleischlieferant. Das Pferd ist ein Opfer des Missbrauchs und ein rechtloser, moderner Sklave. Sobald es um Geld, Einfluss und sportlichen Erfolg geht, siegt der Konsum schnell über jegliche Moral. Da ist der Reitsport keine Ausnahme. Jede Hochleistungsdisziplin praktiziert die Abwertung eines Lebewesens zu einem Sportgerät, welches ohne Rücksicht auf Verluste seinem Marktwert entsprechend zu funktionieren hat.
Kurzum ist für mich der Reitsport ein Haifischbecken mit glänzender Fassade, indem ich meist um Hilfe schreien möchte für die wehrlosen Pferde, die tagtäglich unter großem Druck ertragen müssen, was wir niemals fühlen wollen oder ertragen könnten. Was ich allerdings nicht behaupten würde ist, daß Reiter grundsätzlich ihre Pferde weniger lieben als Nichtreiter, das wäre schlichtweg oberflächlich und gelogen. Ich kenne viele reitende Pferdehalter, die ihr letztes Hemd für ihr Pferd geben, die sich aufopferungsvoll um ihr Tier und seine Bedürfnisse bemühen und das ihnen anvertraute Pferd auch im Alter oder Krankheitsfall niemals abschieben würden. Es gibt sie zuhauf, die Reiter, die ihre Zeit und all ihr Herz in ein Tier stecken, dem sie nur Gutes wollen. Menschen, die niemals Rollkuren, Schläge und Unterwerfung als Kommunikationsmittel für ihr Pferd nutzen. Diese wunderbaren Menschen sind die Basis meiner Hoffnung für Pferde im Alltag.
Respekt und Achtsamkeit sind die wichtigsten Zutaten, die wir brauchen um Pferden zu ihrem Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit zu verhelfen. Mit diesen Zutaten müssen wir in Zukunft dafür sorgen, dass Pferde wieder als das wahrgenommen werden was sie sind. Wenn wir ihnen die Ketten abnehmen und schauen, was sie freiwillig bereit sind uns zukommen zu lassen, dann - und nur dann – sehen wir die Wahrheit.
Meine Erfahrung: es lohnt sich!